2002, Orgelfest Waldkirch. Ein fasziniertes, dreijähriges Kind vor der Soldatenkapelle der Firma Weber im Elztalmuseum Waldkirch. Gespannt wartet es darauf, dass die Museumsführerin das Instrument anschaltet. Die Kartonnoten beginnen sich zu bewegen, man hört die Blasebälge schnaufen. Dann erklingen die ersten Töne der "Ouvertüre aus Orpheus in der Unterwelt". Dieses Kind bin ich. Und hiermit beginnt meine Geschichte.
Ich war während des Orgelfestes nicht mehr ins Bett zu kriegen. Ich habe in unserer Ferienwohnung auf dem Flur geschlafen, aus Angst, etwas zu verpassen. Nach dem Wochenende auf dem Orgelfest gab es kein anderes Thema mehr für mich. Als wir wieder zuhause waren, stand ich stundenlang auf dem Sofa, ahmte den Geigenspieler der Kapelle nach. Mit den Worten:
"Die Webers macht immer so, gell?!"
Ich hab sie gemalt, auf jedem Stück Papier das ich finden konnte: Mechanische Musikinstrumente. Ich war regelrecht besessen von ihnen. Darum bekam ich zu Weihnachten von meinem Vater einen
kleinen Nachbau der Soldatenkapelle mit einem Sankyo-Spielwerk samt mehreren passenden Lochstreifen geschenkt. Er hat sie selbst gebaut. Diese Spieluhr war im Dauerbetrieb und gefällt mir heute
noch so gut wie damals.
Dann, der 15.06.2008. Es ist wieder Orgelfest in Waldkirch. Um genau 15:00 Uhr läuft in der Werkstatt von "Jäger & Brommer" die Auktion einer restaurierungsbedürftigen Drehorgel ab. Eine 16er
Schmider. Kurz davor treffen wir in der Werkstatt ein und sehen die Orgel. Wir bieten darauf. Keiner bietet mehr mit... AUKTION BEENDET! Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht. Für mich und
meinen Papa. Es ist keine große Orgel, besonders schön war sie auch nicht. Das war uns aber egal. Es war unsere! Dieses Foto entstand kurz nach der Versteigerung. Es zeigt mich mit Herrn Jäger.
Die Orgel wurde dann gleich aus der Werkstatt gefahren, wir luden sie (nach vieeeel pressen) zwischen all unser Gepäck . Wir konnten es immer noch nicht glauben: Unsere erste Drehorgel. Bekannte
Drehorgler aus unserem Nachbarort hatten das Spektakel damals beobachtet, und meinten nur noch:
"Ihr wart so schnell weg mit der Orgel, man hat nur noch einen Kondensstreifen gesehen..."
"Sabinchen war ein Frauenzimmer..."
Zuhause angekommen wurde die Drehorgel erst einmal gründlich inspiziert. Der Balg war undicht und wegen fehlenden Teilen nur von Hand zu betreiben. Die Pfeifen waren furchtbar verstimmt. Dennoch ließen mein Freund und ich es uns am nächsten Nachmittag nicht nehmen, mit vollem Körpereinsatz (einer drehte, der andere pumpte) darauf zu spielen. "Sabinchen war ein Frauenzimmer". Stundenlang. Mit verstimmten Pfeifen. Für dieses Lied habe ich schon fast ein Spielverbot, das hängt meiner Mutter heute noch zu den Ohren raus. Das ist auch der Grund, wieso ihr dieses Lied nie in meinem Repertoire finden werdet...
Die Drehorgel wurde repariert, weitere Instrumente folgten (zu der Zeit eine Ariosa-Tischdrehorgel und eine kleine Zungenorgel mit Walze) und schon bald war ich im Ort bekannt wie ein bunter Hund. An allen möglichen Stellen bin ich mit der Orgel aufgetaucht. Wie zum Beispiel hier in unserem Heimatmuseum zur langen Museumsnacht.. Umso länger wir die Drehorgel hatten, desto mehr sahen wir uns nach neuer Musik dafür um, was aber gar nicht so leicht ist bei 16-Tonstufen-Orgeln...
Durch die Suche nach neuen Musikstücken lernten wir den Kirchenmusiker Winfried Klein kennen. Sein Vater war Schreiner und begann, in seinem Ruhestand Drehorgeln zu bauen. Winfried als Kirchenmusiker arrangierte dann die Musik für die Drehorgeln. Da er auch einiges für die 16er Orgel arrangiert hat, kamen wir in Kontakt. Ich fand es unheimlich spannend, wie er selbst Musik für Drehorgeln machen konnte. Er lud uns schließlich zu einem seiner Drehorgelstammtische ein. Den Stammtischen habe ich viel zu verdanken, denn dort lernte ich viele neue Leute aus der "Drehorgel Arrangeur Szene" kennen. Ein ganz großes Dankeschön geht an Harald Müller. Er komponiert selbst für die 20er Drehorgel und hat mir damals die Grundlagen zur Verfügung gestellt, die ich zum Arrangieren brauchte: Ein Notenzeichenprogramm und eine kurze Anleitung, worauf ich achten muss. Meine ersten Versuche, Musik für die Drehorgel zu machen, scheiterten. Daraufhin folgte eine leider sehr große Pause in Sachen eigener Musik.
Aber plötzlich, im Jahr 2013, wendete sich das Blatt. Wir erstanden einige Zeit zuvor eine 20er Drehorgel der Marke Deleika. Mit diesem Instrument hatte (und habe) ich sehr viel Spaß. Bis zu dem Moment, wo sich einige aus meiner Klasse darüber lustig gemacht haben, dass es auf Drehorgeln ja eh nur "altbackenes Walzer- und Marschgedudel" gibt. Mich packte wieder der Wunsch, Musik für dieses Instrument zu kreieren. Auf einem weiteren von Winfried Klein organisierten Drehorgelstammtisch traf ich schließlich wieder Harald Müller. Ich erklärte ihm meine Probleme, die ich in Sachen Musik arrangieren hatte. Er hat mir nochmal alles erklärt, half mir bei meinen letzten Problemen und wir haben viel geredet, bis es endlich soweit war: Jetzt konnte es ENDGÜLTIG losgehen mit dem Arrangieren. Ich fasste einen verwegenen Plan mit einem etwa genau so skandalösen Lied: "Wrecking Ball" von Miley Cyrus sollte auf die Drehorgel! Dieser Chartstürmer, der vor allem wegen dem stark kritisierten Musikvideo durch die Presse ging, schien mir eine perfekte Möglichkeit, die Drehorgel vom "angestaubten" Image zu befreien. Der gute alte Zylinder wurde in die Ecke gestellt, ein neues Outfit musste her! Möglichst frisch, modern! Ich wollte die Drehorgelmusik revolutionieren. Ich kümmerte mich zunächst um einen Stanzer. Ich kam mit Karsten Mölter von Rhöner Notenband in Kontakt, und er war so begeistert von meiner Musik-Revolution, dass er meine ersten Notenrollen völlig umsonst stanzte. Und im Frühjahr 2014 war es dann so weit: Die ersten drei Musikstücke von mir kamen per Post. Neben Wrecking Ball kamen auch noch das "Frühlingsgezwitscher" und der "Bouncy Pipe Swing". Zwei Eigenkompositionen. Und nicht zu vergessen: Die Themenmelodie aus der bekannten Videospielreihe Super Mario. Und als ich die Lieder das erste Mal öffentlich präsentierte, merkte ich an der Reaktion der meisten Leute sofort: Ich habe den Nagel auf den Kopf getroffen!
Von da an stieg mein Selbstvertrauen. Ich nahm ein paar meiner Stücke mit zum Orgelfest 2014 nach Waldkirch. Ich durfte sogar mit einem meiner Lieder spontan in Adrian Oswalts "Pfeiffkonzert" mitspielen, bekam einen tollen Applaus. Leute aus Amerika und England interessierten sich für mich. Einige wollten sogar ein Autogramm. Ich war total baff. An diesem Wochenende traf ich auch den Drehorgelbauer Christian Wittmann, bei dem ich mittlerweile auch einige meiner Stücke stanzen lasse. Irgendwie sind wir uns an diesem Tag dauernd in den Drehorgelwerkstätten über den Weg gelaufen, so sind wir ins Gespräch gekommen. Bei einem ortsansässigen Orgel-Restaurator bekam ich sogar das Angebot, für die neue Otmar-Alt-Orgel (ich weiß nicht, wie ich sie sonst nennen sollte, bei den einen hieß sie Wurstorgel, bei den anderen schon "Conchita") zu arranigeren, wenn sie fertig ist. Sobald mir das technisch möglich ist, werde ich das auch tun - eine echte Herausforderung. Mit der an diesem Wochenende gewonnenen Motivation begann ich, direkt nach der Heimkehr neue Stücke für die Drehorgel zu arrangieren. Denn es stand schon das nächste Orgeltreffen an.
Es war das (erste) internationale Drehrorgelfest in Schwäbisch Gmünd, welches von Kaspar Abele anlässlich der Landesgartenschau und des Kirchenmusikfestivals organisiert wurde. Bei diesem Festival war auch Harald Müller, der mir so sehr geholfen hat, mit dabei. Er wusste zu dem Zeitpunkt noch gar nichts davon, dass ich mittlerweile für die 20er Drehorgel arrangiere. Also holten wir ihn zu uns und ich erzählte ihm, dass ich jetzt angefangen habe zu arrangieren. Als er dann meine Lieder hörte (siehe Bild), war er sehr überrascht. Ich kann mich noch genau an den Satz erinnern, den er zu mir gesagt hat, nachdem ich ihm mein erstes Lied vorspielte:
"Es gibt viel Mist für die 20er Drehorgel. Aber DAS hier ist einfach... gut!"
Mittlerweile gibt es bei mir in regelmäßigen Abständen neue Lieder, und ich hoffe, es wird auch in Zukunft so sein. Damit bin ich - zumindest vorerst - am Ende meiner Geschichte angekommen.
Aber ich bin mir sicher: Die Fortsetzung folgt...
Erich André Steiner | Pappelweg 1 | 86971 Peiting